Lufftbild einer überschwemmten Landschaft, Hausdächer schauen aus dem Wasser © CURE Niger

Flutkatastrophe Niger: "Es trifft mal wieder die Ärmsten der Armen am härtesten!"

Die verheerenden Überschwemmungen in Niger finden in den Medien kaum Beachtung. Wie ergeht es den Menschen dort, die mit der Flutkatastrophe leben müssen? Wir haben Jonas Vetter gefragt. Seit einigen Jahren schon lebt und arbeitet er in der Entwicklungszusammenarbeit in der nigrischen Hauptstadt Niamey.

© Jonas Vetter
Jonas Vetter berichtet aus dem Niger, wie sich die Flutkatastrophe auf behinderte Menschen auswirkt.

Wie ist aktuell die Situation in Niger nach den schweren Regenfällen und Überflutungen?

Die Lage ist weiterhin sehr ernst. Die Regierung gibt an, dass über eine halbe Millionen Menschen in Niger und vor allem in der Region Niamey direkt von den Überflutungen betroffen sind. 70 Menschen sind in den Fluten oder durch einstürzende Häuser gestorben. Ungefähr 40.000 Häuser sind eingestürzt. Darüber hinaus ist aber auch die Landwirtschaft hart getroffen. Das betrifft sowohl den Gemüse- und Reisanbau, als auch viel Vieh, das in Sturzfluten ums Leben gekommen ist.

Im Moment sieht die Situation so aus, dass die Regenzeit zwar nachlässt und der Flusspegel sinkt, es jedoch zahlreiche stagnierende Gewässer gibt, die in der Hitze natürlich gute Bedingungen für Malariamücken oder andere Krankheitserreger wie Cholera stellen. Gerade Malaria ist hier in der Region Niamey, in der wir leben, aktuell ein Riesenproblem.

Wie ist die Situation aktuell speziell für Menschen mit Behinderung?

Ein guter Freund von mir betreibt eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Unter ihnen sind auch einige, die ihre Häuser verloren haben. Menschen, die ohnehin schon am Rande der Gesellschaft stehen und dazu auch noch meist körperlich beeinträchtigt sind, trifft diese Situation natürlich doppelt hart. So wie viele andere Menschen, die durch die Fluten obdachlos geworden sind, leben sie momentan bei Verwandten oder in Notunterkünften wie Schulen, die von der Regierung zur Verfügung gestellt worden sind.

Was brauchen die Menschen in Niger jetzt am dringendsten?

Die Menschen die von der Flut betroffen sind, brauchen das Nötigste. Nahrung, ein Dach über dem Kopf und medizinische Versorgung. Es ist schwer vorstellbar, dass die Sahelzone dieses Jahr ohne zusätzliche Nahrungsmittelhilfen auskommen wird. Entlang des Flusses Niger sind in Niger und Nigeria viele Millionen Tonnen Reis vernichtet worden.

Darüber hinaus muss natürlich wieder Aufbauhilfe geleistet werden. Deiche müssen erneuert und verbessert werden.

Die medizinischen Versorgungszentren müssen sich nun auf Krankheiten vorbereiten, die stagnierende Gewässer mit sich bringen. Wichtig wird natürlich auch sein, dass präventiv gehandelt wird. Zum Beispiel durch spezielle Hygienemaßnahmen oder das zusätzliche Verteilen von Moskitonetzen.

Welche Auswirkungen haben die Überflutungen auf die Covid-19-Pandemie?

Covid-19 spielt auf der Straßen von Niamey und in den Köpfen der Menschen, so wie ich es beurteilen kann, eigentlich keine Rolle. Es gibt gerade wichtigere Themen – wie die Flut oder die anstehenden Wahlen.

Doch natürlich hat die weltweite Pandemie auch Niger gerade wirtschaftlich getroffen. Da kamen die Überflutungen für Menschen, die sowieso in zusätzlichen existenziellen Kämpfen stecken, natürlich zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.

Was schätzen Sie, wie lange die Auswirkungen der Flut zu spüren sein werden, z.B. in der Landwirtschaft und was die Wohnsituation der Betroffenen angeht?

Die Auswirkungen werden uns noch lange begleiten. Grundnahrungsmittel wie Reis oder Hirse werden wahrscheinlich knapper und teurer werden. Das trifft mal wieder die Ärmsten der Armen am härtesten.

Da es schon mehrere leichtere Hochwasser in den letzten Jahren gegeben hat, werden sich jetzt auch viele Menschen, die ihr zu Hause verloren haben, über das Umsiedeln Gedanken machen.

Es gibt Dörfer entlang des Flusses, die teilweise mehrere hundert oder tausend Einwohner haben und von der Flut komplett zerstört worden sind.

In einer Großstadt wie Niamey wird es nicht allzu lange dauern, bis die Leute sich wieder eine Bleibe aufbauen werden. Das sind aber natürlich nicht Häuser, wie wir sie aus Europa kennen. Das sind kleine Häuser mit Ziegeln, die aus Lehm und Stroh hergestellt sind. Zu mehr haben die meisten Menschen nicht die Mittel, sonst würden sie stabiler bauen, denn bei den nächsten starken Regenfällen werden einige dieser Häuser wieder einstürzen.

Welche Maßnahmen müssten Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um solche Katastrophen zukünftig zu verhindern?

Das war jetzt jedoch eine sogenannte Jahrhundertflut, keiner der älteren Menschen, mit denen ich gesprochen habe, kann sich an etwas Vergleichbares erinnern. Trotzdem wird es wichtig sein, bessere und höhere Deiche zu bauen. Denn es ist in den letzten Jahren durchaus zu beobachten, dass im Rahmen des Klimawandels die Regenfälle in der Sahelzone zwar nicht mehr, aber heftiger werden. Auch der Fluss Niger wird durch die sich ausdehnende Wüste immer flacher und somit breiter. Da wird es für die Verantwortlichen einige Umstände zu berücksichtigen geben, die für Niger so lebenswichtige Umgebung des Flusses sicherer zu machen.